Das Gesetz und die kleine Abweichung

Äußerst sehenswert sind die "300 Farbfelder", die Hasso von Henninges eigens für die Galerie Dr. Erdel konzipiert hat.

 Hasso von Henninges

Hasso von Henninges ist, wie jeder konkrete Künstler, ein Experimentierer.
Hochinteressante Ergebnisse seiner Forschungsarbeit zeigt jetzt die Galerie Dr. Erdel in Regensburg. Foto: Erdel

Von Helmut Hein, MZ

Regensburg. Die beste Ausstellung seit langem in der Galerie Dr. Erdel, vielleicht die beste überhaupt: Der konkrete Künstler Hasso von Henninges, der, ein paar Jahre ist's erst her, die frühere furchtlose CSU-Herausforderin Renate Schmidt in der Oberpfalz ehelichte, hat nicht einfach für ein paar Wochen ein paar gerade noch vorrätige Arbeiten beim Galeristen der Wahl deponiert. Vielmehr hat er die donaunahe Örtlichkeit am Fischmarkt genauestens inspiziert und sofort erkannt, was der Fall ist. „Lange Wand“ hieß der Arbeitstitel und er hat diese lange Wand sehr speziell und fulminant „bespielt“.

Konkrete Kunst? Dieser Begriff ist selbst für manchen Kunstfreund ein wenig irritierend. Denn viele stellen sich unter „konkret“ etwas Gegenständliches vor, also Tische und Tiere, Menschen und Landschaften usw. Tatsächlich aber verschmäht der konkrete Künstler alles, was an Figur oder Erzählung auch nur erinnert. Und zwar sehr viel konsequenter und heftiger als der abstrakte, der den Gegenstand ja immer voraussetzt und ihn dann gewissermaßen „löscht“. Aber so, dass er die Intensität des Werks noch immer dem verdankt, was auf vertrackte Weise abwesend-anwesend ist.

Beim konkreten Künstler gibt es keine Referenzen, also Bezüge auf die wirkliche Welt oder auch nur auf Gefühle und Gedanken, die diese auslöst. Es gibt nur das Handwerkszeug. Das, was Voraussetzung jeder Darstellung ist, aber nicht diese Darstellung selbst. Der konkrete Künstler beschäftigt sich mit Formen und Farben, also mit dem „Material“ seiner Arbeit. Angefangen bei der Leinwand und beim Pinsel. Bis hin zur genauen Beschaffenheit der Kreiden, des Acryls oder der Ölfarben.

Hier ist nichts nur "verkopft"

Weil der konkrete Künstler immer auch Forscher, großer Experimentierer ist, beschäftigt er sich mit der Frage, was mit Formen und Farben geschieht, wenn sie nicht für sich stehen, sondern mit und neben anderen. Also mit Formen- und Farbenlehren und mit Wahrnehmungsgesetzen und am besten auch noch mit Hirnphysiologie. Nur subjektiv oder gar expressiv darf es nicht zugehen. Der Mensch hat gefälligst aus dem Bild zu verschwinden. So gesehen ist Hasso von Henninges gar kein „richtiger“ konkreter Künstler. Denn man findet bei ihm zwar alles, was die konkrete Kunst ausmacht – aber eben auch noch sehr viel mehr. Was ist HvHs Geheimnis?

Der Journalist fordert die durchaus illustre Runde zu vorgerückter Stunde auf, doch bitte jeweils einen Satz beizutragen, auf dass ein unbezweifelbar objektives Essay-Gesamtkunstwerk entstehe. Daraufhin werden Aufnahmegeräte herbeigerufen. Renate Schmidt erzählt zwischendurch, dass sie einst, nur aus Freundschaft, Herbert Riehl-Heyse für ein Drei-Stunden-Playboy-Interview zur Verfügung gestanden hätte und dass sich am darauffolgenden Tag auf dem Band nichts, aber auch gar nichts befunden hätte. Also ohne Aufnahmegerät, das nur mitläuft, um schlimmste Verfehlungen nachweisen zu können.

Galerist Dr. Erdel beginnt – halb Johannes-Evangelium, halb schon Goethe – mit dem Hinweis: „Am Anfang war die leere Wand“ und verweist im Übrigen auf seine achtseitige Einführungsrede. Renate Schmidt spricht kenntnisreich und lang, verschmäht das „Verkopfte“ und preist das Sinnliche dieser „300 Farbfelder“. Künstler-Kollege Peter Dorn stellt in knappen Worten, wie ihm HvH sofort bestätigt, alles Wesentliche zu dieser Ausstellung klar. Und der gar nicht genug zu rühmende Szene-Fotograf Wolfgang Rul, der seit Jahrzehnten dokumentiert, was rund um die Kunst in Regensburg passiert, übertrifft ihn noch in Lakonie mit der fast schon geheimnisvollen Feststellung: „Schwarz bildet immer eine Linie. Weiß nur manchmal“. Was später jeder Überprüfung standhält. Noch substanzieller ist nur, auf mehrfache Aufforderung hin, der Oberpfälzer Kunst-Doyen Karl Aichinger, der, weil das ganz Kurze gern überhört wird, dreimal in wechselnder Tonlage sagen muss: „Aaaahh.“ Auch das akzeptiert HvH ohne weiteres.

Jede Farbfläche ein Individuum

Beim überprüfenden Gang die Wand entlang fallen dann die Schönheiten dieses Gesamtkunstwerks erst so richtig auf. HvH ist keiner, der mit Kostbarkeit prahlt. Aber er legt, gerade als konkreter Künstler, wenn auch einer „nachgeborenen“, aufgeklärten Generation, Wert auf Qualität, soll heißen: Haltbarkeit. Gute Pigmente, gute Papiere. Er benutzt Karton oder Kupferdruckpapier, eins der schweren, „dichten“ Sorte und Kreiden, die etwas taugen. Den Mehrwert sieht man beim genaueren Hinschauen.

Natürlich arbeitet HvH seriell, aber jede Farbfläche ist ein Individuum. Keine gleicht der anderen. Das ist zum Teil Zufall; den großen Künstler erkennt man daran, dass er den Zufall zu nutzen weiß. Zum Teil Materialeigenschaft, die man kennt und mit der man spielt. Und zum Teil so etwas wie Ausdruck, also Subjektivität.

Die neuere Konkrete Kunst kommt nicht mehr gar so industriell oder more geometrico daher. Sie kennt und mag das Gesetz. Aber eben auch die kleine Abweichung, die Irritation. Das, was nicht sofort „aufgeht“. Man könnte auch sagen: das Individuelle. Schwarz und Weiß, diese Extreme, Farben, die gar keine Farben sind, bilden den Ausgangspunkt. Aber HvH ist kein Manichäist, er liebt die Zwischentöne, er liebt die Erdfarben, die einen taktilen Reflex auslösen. Man darf freilich nur schauen, nicht berühren. Diese Pigmente sind sehr empfindlich. „Wie Schmetterlingsflügel“, sagt Wolfgang Erdel in seiner Einführungsrede.

300 Farbflächen, 60 Bilder und, wenn man genau hinschaut, natürlich ein einziges großes Bild mit Zwischenräumen. Und all diese Bilder kleben nicht dicht an der Wand. Auch da gibt es Abstand. Und deshalb natürlich Schatten. Oder zumindest Halbschatten. Und mit einem Mal wird das, was der Maler HvH macht, geradezu plastisch. Es wird Teil der Welt. So wie der Betrachter Teil der Welt ist.

Mittelbayerische Zeitung, Di, 13. Sept. 2011